Alle Welt spricht von der Kammerweite. Als Sattlermeister habe ich immer gestaunt, dass sogar die meisten Sattelverkäufer nicht wissen, was die Kammerweite ist. Dabei wird schon, wenn wir die Begriffe Kammerweite, Ortsweite, und Schulterfreiheit genau definieren klar, warum so viele Fehler in der Sattelanpassung gemacht werden.
Was landläufig als Kammerweite bezeichnet wird, ist eigentlich die Ortsweite. Sie definiert den Abstand der Ortsspitzen des Sattelbaums. Aber warum gibt es überhaupt zwei verschiedene Begriffe, wenn es doch auf dem ersten Blick so scheint, als ob eh das Gleiche gemeint ist. Ist es einfach nur eine unnötige Fachsprache oder steckt mehr dahinter?
Sehen wir uns zunächst den Querschnitt eines Sattels im Bereich des Kopfeisens an.
Die Kammerweite
Die Kammerweite definiert wie aus der Zeichnung ersichtlich den Abstand der Sattelkissen im Bereich des Sattelkopfs. Neben der Breite des Kopfeisens bzw. Sattelbaums, der Dicke der Kissenpolsterung gibt es noch ein weiteres Kriterium, welches Einfluss auf die Kammerweite hat. Dieser Punkt wird leider, selbst von erfahren Sattler oft nicht berücksichtig. Es handelt sich um die Höhe, in der das Sattelkissen an das Oberteil des Sattels angenäht wird. Hier wird häufig nur der Standard des Sattelherstellers übernommen. Dabei können schon wenige Zentimer Veränderung einen großen Einfluss auf die Passform haben.
Die Ortsweite
Die Ortsweite dagegen ist einfacher zu bestimmen. Es handelt sich um den Abstand der Ortsspitzen. Die Ortsspitzen sind entweder die Enden des Kopfeisens oder die des Sattelbaums. Hier wäre es natürlich wünschenswert, wenn es eine DIN Norm geben würde. Die gibt es aber leider nicht und daher lässt sich die Weite eines Sattels von einem Sattelmodell zu anderen auch nicht vergleichen. Ein Grund dafür liegt in der unterschiedlichen Länge der Orte. Sind diese länger, wird auch automatisch die Weite in Zentimeter gemessen größer, obwohl die Winkelung der Orte möglicherweise identisch ist.
Warum sind die Orte oder die Kopfeisen von Sätteln unterschiedlich lang?
Das hat mehrere Gründe. Einer könnte traurigerweise sein, dass es nicht so viel Arbeit macht kürzere Kopfeisen anzupassen. Das wird natürlich niemand wirklich zugeben. Eher kommen dann Begriffe wie Schulterfreiheit ist Spiel. Aber was hat eigentlich der Begriff Schulterfreiheit in der Sattelanpassung zu suchen? Die Schulter liegt doch bekanntlich von der Sattellage und soll, genauso wie die Wirbelsäule sowieso frei sein. Es handelt sich daher wohl eher um geschickte Werbung, als um eine komplizierte Konstruktion. Dabei ist es natürlich schon extrem wichtig, dass die Schulter des Pferdes sich frei bewegen kann. Das wird bei hochwertigen Sätteln allerdings durch ein zurückgezogenes Kopfeisen erreicht. Gebogene Konstruktionen sind dann in der Tat beim Bau des Sattels aufwendiger und auch die Formen für die Sattelbäume und Kopfeisen sind ein vielfaches teuer, als die gerade verlaufenden.
Warum der ganze Aufwand?
Natürlich ist kein Sattelhersteller daran interessiert, den Sattelbau unnötig aufwendiger zu machen. Die Form und Konstruktion des Sattelbaums ist allerdings der entscheidende Teil, wenn es um Passform und Sitzgefühl geht. Jeder Sattelhersteller verfolgt dabei natürlich seine eigene Philosophie. Wie viele einzelne Punkte dabei Beachtung finden, kannst du auch auf der Website von La Selle unter dem Punkt Sattelbaum sehen.
Ein Beispiel aus der Praxis
Ein stolzer Friese. Er ist ein kräftiges Pferd mit hoher Aufrichtung. „Seine Wirbelsäule ist breit. Er braucht auf jeden Fall einen extra breiten Wirbelkanal.“, begrüßt mich seine Besitzerin schon von Weitem. Sie hatte vor vielen Jahren einen Maßsattel bei uns für ihren Andalusier machen lassen. Jetzt, wo der Spanier in Rente gegangen ist, soll ihr Sattel auf die neue schwarze Perle angepasst werden. Ich bin froh, dass seine Reiterin sich bereits mit dem Thema Sattel beschäftigt hat und sogar schon den Knackpunkt ihres Pferde kennt. Es ist nicht untypisch für Friesen, dass sie vorne rechts und links neben der Wirbelsäule empfindlich sind. Das ist oft der Fall, wenn Pferde eine breite Wirbelsäule aber keinen runden Rippenbogen wie ein Kaltblut haben. Theoretisch vereinen sich hier zwei Pferde: die kräftigen Knochen eines Kaltblutpferdes und die ovale Rippenform eines Reitpferdes. Die Besitzer aller Friesen mögen mir diese etwas abstrakte Verallgemeinerung verzeihen. Sie soll lediglich das Problem verdeutlichen.
Wie muss also die Kammerweite für diesen Friesen aussehen?
Bedingt durch die kräftige Wirbelsäule wird die Kammerweite für dieses Pferd zwei Zentimeter breiter, wobei die Ortsweite unverändert bleiben konnte. Zusätzlich wurden die Sattelkissen etwas tiefer an das Satteloberteil angesetzt und das Kopfeisen im Bereich des Sattelkopfes breiter gemacht, ohne die Winkelung der Orte zu verändern. Das hört sich vielleicht etwas kompliziert an – ist aber eigentlich ganz logisch. Der Sattel wird nach den Änderungen dem neuen Pferd passen. Hätten wir den Sattel für den Friesen einfach nur etwas breiter gemacht, hätte er vorne direkt links und rechts neben der Wirbelsäule punktuell Druck ausgeübt. Genau am Übergang vom Trapezmuskel zum breiten Rückenmuskel, der Bereich, der dem jungen Friesen sein ausgeprägtes Gangwerk ermöglicht.
Mehr individuelle Beispiele mit den entsprechenden Satteländerungen findest du auch im Video-Seminar Sattelkunde.
Denn: Jedes Pferd ist anders!